Sind PR-Experten die Dinosaurier unserer Zeit?

von Zornitsa Todorova

2. Januar 2017

In Zeiten von Content-Marketing bekommt die Frage nach der Messbarkeit von Qualität in den Public Relations eine vollkommen neue Dimension. Über Clipping, Storytelling und den Wert von Marketingstrategien.

In der Wirtschaftswelt macht das Gerücht die Runde, dass klassische Public Relation, Presse- und Medienarbeit, ausgedient haben. Ersetzt werden diese immer öfter durch sogenanntes Content Marketing und Branded Content. Solche Inhalte im firmeneigenen Blog oder in sozialen Netzwerken zielen darauf ab, das Publikum zu informieren und seine Emotionen zu wecken. Kontrolliert. In einem Schwung. Die Kommunikation der Zukunft will konvertieren, nicht nur sensibilisieren. Die neue Kommunikationsindustrie betrachtet PR-Experten deshalb immer öfter als aussterbende Dinosaurier. Dagegen kann die Branche bislang wenig überzeugend argumentieren.

Die Clippings – die in Medien veröffentlichten Geschichten – sind bisher beinahe der einzige belastbare KPI, Key Performace Indicator, mit dem Kommunikationsgurus ihre Leistung quantifizieren. Doch das ist aus Sicht vieler Marketingexperten ein etwas vager Messwert. Denn wer könnte schon sagen, wie viel Verkaufswert hinter einer herkömmlichen Mediengeschichte steckt? PR-Berater können es nicht. Manche wollen es auch nicht. Belastend wirkt auch die Aussage, dass heutzutage fast jeder und jede, sogar Zahlenjongleure wie Marketeers, gute Geschichten erzählen können – Startups beweisen es. In einem wachsenden westlichen Markt von aufgeklärten Käuferinnen und Käufern werben sie mit dem Slogan, dass ein gutes Gewissen oder Gerechtigkeit käuflich zu erwerben sind. Ein Beispiel hierfür ist die Firma iFixit.

Der Cowboy und der Apfel

iFixit ist eine weltweite Community von Bastlern und Technikern, die sich dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe verschreibt. Seit Jahren verhelfen sie Verbraucherinnen und Verbrauchern in zahlreichen Ländern, teures technisches Spielzeug zu reparieren. Zur Community  gehören aktuell über eine Million Menschen.

Bei meiner ersten Begegnung mit dem Gründer von iFixit, Kyle Wiens, übten wir uns in Smalltalk bei einem großen Saigon Bier. Irgendwann wurde das Thema professionelle PR angerissen und ich sah mich bald in der Position, meine Berufswahl verteidigen zu müssen. Denn Kyle Wiens hat es mit seinen Teardowns, das heißt den Berichten über das Zerlegen und Reparieren von High-End-Produkten, schon in zahlreiche renommierte Medien wie die New York Times, Bloomberg oder das Wallstreet Journal geschafft. Kyle Wiens sieht keinen Grund, die Dienste eines PR-Beraters jemals in Anspruch zu nehmen. Warum auch? Dem mächtigen Apfelkönig stellt er sich stattdessen mit Cowboy-Hut und zerlegtem iPhone entgegen. Das treibt Journalisten in Scharen zum Startup.

PR-Pitch der Gedankenstille

PR-Berater argumentieren gern mit der bewährten Kunst, die richtigen Geschichten zu erzählen und die richtigen Kontakte zu haben. Storytelling und Kontakte – diese Argumente hatte auch ich am Abend parat. Ich warb für die Branche mit Nachrichtenwertfaktoren, Agenda-Settings und einem stark ausgeprägten Feingefühl für emotionale und rationale Hebel mit Wirkung. Diese Herangehensweise ist üblich im PR-Bereich. Laut einer internationalen Umfrage der Worldcom Public Relations Group (2014) geben 95% Prozent der PR-Agenturen an, überwiegend qualitative Aspekte in das Controlling ihrer Maßnahmen einzusetzen. Warum dies für Kyle Wiens ein wenig überzeugender Pitch für die Public Relations war, erklärt sich durch seinen gewaltigen medialen Erfolg, aber auch durch folgendes Experiment.

Öffnen Sie den Browser und geben Sie das magische Wort Storytelling an. Die Suchmaschine spuckt eine Liste mit 42 Millionen Ergebnissen heraus. In Marketing-Kreisen ist Storytelling beinahe retro geworden. Ein auseinandergebautes Konstrukt, vorgekaut für Suchmaschinen, Laien, Profis, übersichtlich in Schritten, 10+ Gründen und Bulletpoints dargestellt, für jeden und jede kostenlos. Von Content-Marketeers für Content-Marketeers. With Love. Klar wie der Himmel über Alaska. Dort kann man übrigens mit bloßem Auge bis in die tiefsten Tiefen der Milchstraße sehen. Kyle Wiens und viele andere haben das getan.

Ganz ohne professionelle Hilfe –  ein tragbarer Preis?

Was ist das wahre Verkaufsargument für klassische Public Relations? Was ist ihr realer Messwert für Gründer wie Kyle Wiens? Mit Clippingsseiten ist die Antwort darauf nicht per se gegeben. Eine Verknüpfung zwischen PR- Leistungen und monetärem Erfolg ist längst überfällig. Die Qualität der Arbeit von PR-Experten kann quantitativ überzeugend gemessen werden. Die Instrumente dafür liegen auf der Hand. Eine Möglichkeit neben den Clippings bieten gewachsene Reichweiten online und offline, daraus resultierende organische Leads und das Return of Investment (ROI).

Eine andere Option stellen versteckte Kosten oder sogar der nicht-realisierte Umsatz dar. Die Anstrengung im Alltag eines Unternehmers ist immer groß. Diese lässt sich unmöglich in 40 Wochenstunden hineinquetschen. Ein Stundenpensum weit über diese Arbeitsbelastung hinaus ist gang und gäbe. Eine Stunde mehr für die Ansprache von Journalisten oder die anschließende Pflege von Kontakten ist gleichzeitig eine Stunde weniger für die strategische Ausrichtung, Strukturierung und Optimierung der Arbeitsprozesse oder sogar für die Produktion. Der wirtschaftliche Ausdruck dessen sollte für Gründer, aber auch für viele andere, einleuchtend sein.

Messbarkeit von Qualität: 9577 Arbeitsstunden für den Vertrieb von guten Geschichten

Bei KOMPAKTMEDIEN haben erfahrene Journalisten und Kommunikationsberater in dem letzten Jahr über 22.000 Seiten mit Presseclippings entstehen lassen. Die 36 Bände haben eine Länge von mehr als einen Meter dreißig. Die KM-Berater haben über 9.577 Arbeitsstunden in dieses gigantische Werk investiert. Ein Großteil davon haben sie damit verbracht, Medienvertreter per Mail zu pitchen. In Telefongesprächen haben sie Themen unserer Kunden Journalisten ans Herz gelegt. Mehrere hundert Stunden hat die Vorbereitung von medienwirksamen PR-Aktionen in Anspruch genommen und noch mehr sind in die Beantwortung journalistischer Fragen eingeflossen. Die Früchte der PR sind selten schnell gereift. Die Maßnahmen wurden nie beiläufig erledigt. Eine ergreifende Geschichte mit einer starken sozialen Komponente ist einzig der Ausgangspunkt.

Ein mühseliges, konstantes Schuften am Rechner, in Gesprächen auf dem Flur und in der Warteschleife der Redaktionen ist meistens der Weg. Auch Kyle Wiens wäre für diese Wahrheit empfänglich. Schließlich spürte er bereits am eigenen Leib, welches zeitliche Engagement ein wachsender Medienruhm einem abverlangt.

Für PR-Berater ist die Lehre aus dieser geborgten David-Goliath-Geschichte eine unerwartete: Neben Stärken als Erzähler und Seelenflüsterer sollten sie sich endlich die Marketing-Überzeugungskraft zunutze machen. Damit PR-Berater von vorpreschenden Gründern keine Zahlenniederlagen einstecken müssen, vielmehr aber der Zukunft wegen. Immerhin ist SOZIAL nicht nur salonfähig, sondern auch verkaufsstark geworden. Es ist höchste Zeit, dieses Potenzial auszuschöpfen.

Zornitsa Todorova ist Konzeptionerin bei KOMPAKTMEDIEN. Ihr Schwerpunkt liegt auf Bewegtbild-Formaten für den Social Media-Bereich.