Mahnende Worte von Sascha Lobo

Wo Schatten ist, das ist auch Licht!

Fake-News & Co: Sind Social Media noch zu retten?

30. Oktober 2018

Die Euphorie ist vorbei! Facebook, Twitter und Instagram offenbarten uns eine digitale Welt, in der jeder mit jedem kommunizieren kann. Die Menschen rückten näher zusammen und wollten eine Art innovative, virtuelle Weltgesellschaft aufbauen. Dieses utopische Projekt scheint heute gescheitert zu sein. Zurück bleibt die Frage: „Sind die sozialen Medien noch zu retten?“ Diese Frage wurde in ähnlicher Form auch auf der AllFacebook Marketing Conference (#AFBMC) gestellt und brachte mich zum Nachdenken.

Von Mario Stock, Team Content

Die Idee war grandios. Jeder wird zum Sender – ganz so wie es sich Berthold Brecht in seiner Radiotheorie wünschte. Als sich die Bürger 2011 organisierten und für demokratische Rechte auf die Straßen von Kairo, Tunis oder Rabat gingen, schien die Utopie, welche uns Social Media versprachen, zum Greifen nah. Die demokratische Idee verbreitete sich via Twitter und Facebook wie ein Virus und infizierte ganz Nordafrika mit dem Wunsch nach mehr Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten. Der arabische Frühling war ein Aufflammen der Hoffnung und zeigte, was Social Media für die Menschheit leisten können.

Heute wissen wir: Es war ein Traum. Seit 2011 haben sich Facebook und Co. stark gewandelt. Unbestreitbar beeinflussen die sozialen Medien das gesellschaftliche Gefüge, ja unser gesamtes Weltbild. Doch nicht mehr zwingend auf eine positive, demokratische Weise. Statt einer globalen Weltgemeinschaft leben wir in ideologischen Blasen, die uns unser eigenes Weltbild spiegeln, den Horizont nicht erweitern. Statt Wahrhaftigkeit und Authentizität finden wir Fake-News. Statt Liebe finden wir Hass. Statt Menschen finden wir Bots und Werbung.

Welchen Einfluss die Algorithmen der sozialen Medien heute offenbaren, zeigt sich exemplarisch am Cambridge Analytica-Skandal, dem Wahlsieg von Donald Trump, dem Brexit und dem Erstarken des Rechtsextremismus angesichts der Flüchtlingskrise. Social Media sind zu einem Spalter geworden, der die Trivialität mit Katzenvideos, den Kapitalismus mit targetiertem Content und die Meinungsfreiheit mit Propaganda zelebriert.

Wenn ein „brauner“ Mega-Shitstorm, der sich in rechten geheimen Facebook-Gruppen formiert hat, über den Kinderkanal (KiKA) hinüberfegt, weil in einem Beitrag die Jugendliebe zwischen einem deutschen Mädchen und einem jungen Flüchtling thematisiert wurde; wenn Kommentare von Reichsdeutschen und besorgten Bürgern die Facebook-Seiten der Parteien überfluten und russische Bots zum Posten von Hasskommentaren unter Artikeln der sogenannten „Lügenpresse“ aufrufen, dann wird eines klar: Facebook und Co. sind nicht mehr die Kuschel- und Wohlfühlmedien, wie vor zehn Jahren.

Social Media sind zu einem Schlachtfeld im Meinungskampf geworden, zu einer Plattform, in der die „Verkaufe“ wichtiger ist, als die Inhalte und zu einer Welt, in der der „schöne Schein“ und die subjektive Meinung als Wahrheit verkauft werden. Das führt uns zwingend zu der Frage: Sind Social Media noch zu retten?

Die neuen Herausforderungen müssen angenommen werden!

Angesichts der Verrohung der Sprache im Netz und dem fundamentalen Wandel, der sich in den sozialen Medien vollzogen hat, kann einem leicht die Lust abhanden kommen, sich auf Facebook, Twitter und Co. zu betätigen. Was soll man also als Agentur, die sich im politischen Raum bewegt, seinen Kunden raten? Wäre es denn nicht besser, die Schlangengruben der sozialen Medien zu meiden?

Das Gegenteil ist der Fall! Das ist eine Erkenntnis, die ich von der #AFBMC mitgenommen habe. Mahnende Worte kamen von Interneturgestein Sascha Lobo oder Social Media-Experte Robert Seeger. Einblicke in das Krisenmanagement des KiKA lieferte Daniel Seiler und auch die CDU präsentierte ihren Ansatz, mit Trollen und Hasskommentare umzugehen.

Ohne Social Media geht es einfach nicht mehr. Mit über 30 Millionen aktiven Nutzern in Deutschland gilt: Wer die sozialen Medien nicht nutzt, findet nicht statt. Wir müssen unsere Kunden und uns als Agentur aber vorbereiten und rüsten, denn wie bereits gesagt: Es herrscht ein Meinungskampf, den wir ausfechten müssen. Sind wir nicht auf den Plattformen, überlassen wir das Feld den Gegnern einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft. Unsere Kunden müssen den Dialog in den sozialen Medien suchen und führen. Als Agentur müssen wir ihnen dabei helfen, ihre Anliegen dem Medium entsprechend zu übersetzen, die richtige Sprache zu finden – Relevanz in Form von Sichtbarkeit und Reichweite zu generieren.

Fünf Learnings von der #AFBMC

  1. Shitstorms, Trolle und Hasskommentare können jeden treffen: Deshalb müssen wir bei jedem neuen Social Media-Kanal auch die Krisenkommunikation mitdenken und ein Community Management etablieren, das schnell reagieren kann. Wir müssen klare Regeln finden, was geht und was nicht.
  2. Glaubwürdigkeit entsteht durch Authentizität: Es geht nicht nur darum, bunte Werbekampagnen durchzuziehen. Politische Kommunikation und Kommunikation im Allgemeinen müssen glaubwürdig sein – das gelingt durch Transparenz und Authentizität. Dazu gehört auch, dass nicht nur der „schöne Schein“ kommuniziert, sondern auch selbstkritisch mit Fehlern umgegangen wird.
  3. Es gibt die schweigende Mehrheit: Wer schreit hat recht? Auch wenn unter einem Post Kommentare zu finden sind, die einem nicht gefallen, sollten diese nicht einfach gelöscht oder ausgeblendet werden. Facebook und Co. sind Dialogmedien, deshalb müssen auch kritische Kommentare zugelassen und beantwortet werden. Den Verfasser wird man vermutlich nicht vom Gegenteil überzeugen können, aber vielleicht die stillen User, die selbst nicht kommentieren, aber fleißig mitlesen.
  4. Wir müssen Haltung zeigen und Position beziehen: Niemand kann es allen recht machen. Das Formulieren von klaren Positionen und starken Botschaften mag vermutlich nicht jedem gefallen. Anecken und Widerspruch erzeugen, ist für einen Social Media-Kanal gesund. Es schützt davor, als beliebig oder trivial zu gelten und zahlt auf die Glaubwürdigkeit sowie Authentizität ein – vorausgesetzt die vertretene Meinung ist auch die eigene.
  5. Durchhalten: Es mag müßig sein, aber es lohnt sich. Jeder Shitstorm geht vorüber, jeder Troll verstummt irgendwann und am Ende steht eine Community, die dankbar ist, für den eigenen Einsatz, die Ideen unterstützt und teilt.

In den sozialen Medien hat sich ein fundamentaler Wandel vollzogen. Facebook, Twitter und Co. sind immer häufiger Werkzeuge, die von Populisten, Propagandisten und Extremen für ihre Zwecke (aus)genutzt werden. Als Agentur im politischen Raum müssen wir dies als Herausforderung annehmen und unsere Kunden mit entsprechenden Know-how ausrüsten. Wir müssen den virtuellen Kommunikationsraum zurückerobern; für Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Vielfältigkeit einstehen. Wir müssen Social Media retten!

Mario Stock ist Social Media Manager bei KOMPAKTMEDIEN. Ständig hat er sein Smartphone in der Hand und scheint doch zu arbeiten.