Mehr Mut zur Marke – warum Parteien heute Markenstrategien brauchen

von Manuel Röhrich

12. April 2017

Parteien bewegen sich heute auf umkämpften Märkten. Alte Wählermilieus sind erodiert – heute wählt kein Arbeiter mehr aus Tradition SPD. Obwohl die Politik schon seit Jahren um volatile Wähler werben muss, werden Parteien aber nicht wie Marken geführt. Hier können CDU, SPD, Grüne & Co. vielleicht von den Markenstrategien der Wirtschaft lernen.

Glühende Idealisten sind jetzt sicher auf 180. Sollen sich Parteien in strategisch geführte Unternehmen verwandeln? Dazu ein eindeutiges „Nein“! Politische Parteien haben einen verfassungsrechtlichen Auftrag. Würden sie nur nach der Gunst des Volkes trachten, wäre das ein Desaster für unsere Demokratie. Ich will Parteien, in denen sich echte Idealisten tummeln. Parteien sollen aus Überzeugung handeln und nicht aus Opportunität.

Von der PR- zur Markenstrategie

Genau hier liegt aber die Crux der Geschichte. Seit Jahren nämlich blicken die Parteien vornehmlich auf Umfragen und Wahlen. Fast alle haben sich im Parteienwettbewerb mehrfach neu positioniert. Warum? Sie wollten dem herrschenden Zeitgeist gefallen. Erinnern Sie sich noch an Angela Merkel, die 2005 wie eine deutsche Margaret Thatcher klang? Die CDU positionierte sich damals als „Partei der neuen Sozialen Marktwirtschaft“. Als der neoliberale Zeitgeist verflogen war, kehrte das Konrad-Adenauer-Haus der Strategie den Rücken. Heute verortet eine Mehrheit der Wähler die CDU sogar links der Mitte. Den Christdemokraten voraus ging bereits 1998 die SPD. Mit der „Kampa“ präsentierten sich die Sozialdemokraten damals als Partei der leistungsbereiten „Neuen Mitte“. Heute versteht sich die SPD mit Martin Schulz wieder als Arbeiterpartei. Die Wirtschaft floriert – der Kampf um soziale Gerechtigkeit ist entbrannt.

Politische Parteien operieren oft mit kurzsichtigen PR-Strategien. Dabei dienen sie sich immer wieder dem Zeitgeist an und positionieren sich sporadisch neu. Das mag mit Blick auf einzelne Wahlen vielleicht sogar noch erfolgreich sein. Doch je öfter sich Marken neu erfinden, desto unglaubwürdiger sind sie. Die etablierten Parteien müssen zu nachhaltigen Markenstrategien gelangen, wollen sie das Vertrauen in Politik ganz grundsätzlich erneuern. Sie müssen sich als Marke definieren und ihrer Identität treu bleiben. Das schließt nicht aus, auf neue gesellschaftliche Debatten zu reagieren. Doch es wäre sicher ratsam, sie mit dem Selbstbewusstsein der eigenen Marke zu führen.

Von der Mitte ins Milieu

Wir sollten jedoch nicht nur den Zyklus betrachten, innerhalb dem sich Parteien neu positionieren. Viel interessanter ist die Hypothese, die zu diesem ständigen Marken-Relaunch führt. Seit Jahren gilt in der Politikberatung die Formel, „Wahlkämpfe werden in der Mitte gewonnen“. Um hier möglichst vielen Wählern zu gefallen, erweitern die Parteien beliebig ihr Programm. Das beste Beispiel bietet Angela Merkel, die seit Jahren im Kampf um „die Mitte“ die Agenda ihrer Wettbewerber okkupiert.

Ich halte die Hypothese von der wahlentscheidenden „Mitte“ für eine Illusion. Denn soziologisch betrachtet, gibt es diese „Mitte“ gar nicht. Postindustrielle Gesellschaften sind ein Eldorado kulturell verschiedener Milieus. Lebensstile, Familienmodelle und Berufsbilder unterscheiden sich immer mehr. Auf diesen sozialen Wandel müssen auch Parteien einzahlen. Sie müssen wieder ihren Markenkern akzentuieren, um das Lebensgefühl „ihrer“ Milieus zu adressieren. Natürlich gehen dabei gerade den Volksparteien auch volatile Wähler verloren. Doch es birgt die Chance, Wählermilieus wieder dauerhaft zu integrieren. Der SPD jedenfalls wird es zukünftig nicht mehr gelingen, den von Abstiegsängsten bedrohten Arbeiter genauso zu mobilisieren wie den wirtschaftlich saturierten, postmateriellen Hochschullehrer. Die Grünen werden den kapitalismuskritischen Studierenden nicht genauso emotional erreichen wie den linksliberalen Unternehmensgründer. Parteien brauchen den Mut zur eigenen Marke. Zu der sagenumwobenen „bürgerliche Mitte“ zählen heute nur noch 13 Prozent.

Markenstrategie: Von der Wirtschaft lernen

Dabei können die Wahlkampfstrategen durchaus von der Wirtschaft lernen. Dort wird erfolgreiche Markenführung jeden Tag gelebt. BMW etwa würde niemals auf die Idee kommen, um die Kunden von SKODA zu buhlen. Deshalb führt die Marke auch keine Modelle, die es ab 9.000 Euro zu erwerben gibt. Marketing-Experte Christoph Engl sagt: „Die Erfahrung aus vielen hunderten von Markenstrategie-Prozessen zeigt: Ausdehnung ist für Marken immer gefährlich, das Wechseln in andere Branchen oft tödlich.“ Als Beispiel führt Engl NIVEA auf. Die Kosmetikmarke hatte ihr Sortiment an Cremes erweitert, um jüngere Kunden zu erobern. Das Gegenteil jedoch trat ein: Das Unternehmen verlor im Heimatmarkt, bis es sich wieder auf seinen alten Markenkern besann.

Insbesondere die Volksparteien erscheinen mir derzeit noch ein wenig wie unsere alten Kaufhäuser. Sie bieten dem Verbraucher alles, damit er sich wohl fühlt. Gerade der Politik dürfte aber bekannt sein, warum Karstadt & Co. in die Krise geraten sind. Ihr breites Sortiment war für immer individueller werdende Verbraucher nicht mehr interessant. Am Ende aber können sich Parteien nicht nur ein Beispiel an der Wirtschaft nehmen. Sie sollten sich vielleicht auch ähnlich beraten lassen. Erfolgreiche Unternehmen haben Leadagenturen, die ihre Branding- und Change-Prozesse über Jahre begleiten. In den meisten Parteien werden Agenturen erst wenige Monate vor der Wahl kontaktiert. Dann setzt der übliche Prozess ein. Man sucht nach einer PR-Strategie, um auf den letzten Metern zu mobilisieren.

In diesem Sinne sollten Parteien sogar auf ihre Idealisten hören. Sie sind das Mark der Partei und der Grund, warum sie Menschen faszinieren.

Manuel Röhrich ist Konzeptioner bei KOMPAKTMEDIEN. Zuvor arbeitete er mit seinem Agentur-Startup für Abgeordnete und Parteien.