Christian Lindners Krisenkommunikation – eine Manöverkritik
Kein Politiker ist vor Krisen gefeit. Umso wichtiger ist es, dann glaubwürdig zu sein. Christian Lindner ist das am Sonntag nicht ganz gelungen. Medien und Öffentlichkeit haben ihn zum Verantwortlichen der gescheiterten Sondierungsgespräche erklärt. Doch welche Krisenkommunikation hätte die Debatte verhindern können?
Von Manuel Röhrich
Seit Montag ist „Jamaika“ wieder das, was es immer war: Eine paradiesische Insel im Atlantischen Ozean. Die FDP hat ihre Sondierungsgespräche mit CDU/CSU und B’90/Die Grünen für beendet erklärt. Nach vier Wochen Verhandlungen sieht sie keine gemeinsame politische „Idee“. Journalisten und Influencer sind sich einig: Die FDP hat aus politischen Kalkül gehandelt und wird ihrer „staatspolitischen Verantwortung“ nicht gerecht. Ob sich Christian Lindner diese Kritik gefallen lassen muss, werden die Wähler beurteilen. Es gibt aber Ursachen in seiner Krisenkommunikation, die zumindest den medialen Feuersturm erklären. Werfen wir einen Blick zurück.
Christian Lindner argumentierte nicht präzise und transparent
Bereits nach wenigen Wochen Verhandlungen sind viele Kolumnisten aus ihrem Traum erwacht: „Jamaika“ wird kein Drehbuch für eine neue politische Erzählung. Über Wochen haben sich die Parteien um kleinste Kompromisse bemüht. Immer wieder ging es um Details der Flüchtlingspolitik oder des Kohleausstiegs.
Während bei CSU und Grünen ganz offen kulturelle Unterschiede zu Tage traten, dominierten CDU und FDP weit weniger die Schlagzeilen. Die wenigsten Beobachter hätten wohl gedacht, „Jamaika“ scheitere an den Liberalen. Einer um ihr konservatives Erbe besorgten CSU hätte man das eher zugetraut und auch so manchem Urgestein der Grünen.
Als sich am Sonntag schließlich Kompromisse in den strittigsten Fragen der Migrations- und Klimapolitik abzeichneten, schien der viel zitierte „Weg nach Jamaika“ frei. Umso mehr überraschte die Journalisten, als Christian Lindner in der Nacht vor die Kameras trat und die Gespräche für gescheitert erklärte. In einem vier Minuten langen Statement erläuterte er, es fehle den Partnern an „Vertrauen“ und einer gemeinsamen „Idee“. Die Liberalen könnten den „Geist des Sondierungspapiers“ nicht mitverantworten. Sie wären gezwungen, ihre „Grundsätze aufzugeben“. Was Lindner konkret damit meinte, blieb für die wartenden Journalisten ein Geheimnis. Christian Lindner rauschte mit seiner Delegation ab. Sein Auftritt erwies sich als wenig transparent.
Während Union und Grüne zuvor bereits Meldungen über absehbare Kompromisse streuten, ließ die FDP also plötzlich die Verhandlungen aus äußerst nebulösen Gründen platzen. Schnell kolportierten Medien und Parteien, dieses „Schauspiel war inszeniert“. Die FDP habe von Beginn an die Sondierungsgespräche scheitern sehen wollen. Dass Christian Lindner sein Statement dann auch noch von einem Zettel ablas und angeblich fluchtartig die Landesvertretung verließ, befeuerte die Spekulationen.
Medien und Wettbewerber hatten die Deutungshoheit
Erst als die Debatte über die FDP schon entflammt war, machte der Parteivorsitzende seine Entscheidung an konkreten Gründen fest. Auf einer für den folgenden Nachmittag angesetzten Pressekonferenz erklärte er, zentrale Wahlversprechen der FDP seien mit CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen nicht zu realisieren gewesen. Sowohl die Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2021, als auch Investitionen des Bundes in Schulen stießen bei Union und Grünen offenbar auf Widerstand. Zumal bereits erzielte Kompromisse, etwa in der Finanzpolitik, laut Lindner, wieder aufgekündigt wurden.
Von all diesen handfesten Gründen war in seinem Statement um Mitternacht jedoch nicht die Rede. Einen ganzen Vormittag lang konnten Medien und Wettbewerber Christian Lindners Entscheidung relativ frei interpretieren. Zwar wurde FDP-Generalsekretärin Nicola Beer im Morgenmagazin bereits konkreter – in allen Nachrichten lief jedoch weiter das erste Statement ihres Vorsitzenden. Bevor Christian Lindner also nachmittags vor die Presse trat, war die Geschichte über den dramatischen Abend bereits geschrieben. Medien und Wettbewerber hatten die Deutungshoheit erlangt, die in der Krisenkommunikation eigentlich in der Hand der Konfliktpartei liegen sollte.
Medien und Öffentlichkeit wurden von der Entscheidung der FDP überrascht
Für reichliche Irritationen hat dabei natürlich auch gesorgt, dass Medien und Öffentlichkeit mit diesem Paukenschlag nicht gerechnet haben. Denn Christian Lindners Krisenkommunikation wies keine Eskalationsstufen auf, durch die man sein Handeln hätte erwarten können. Wolfgang Kubicki sah zwar schon in den Tagen zuvor einen „Hurrikan über Jamaika“ aufziehen. Doch niemand hat ein mögliches Scheitern der Gespräche an konkrete Positionen geknüpft. An keinem einzigen Verhandlungstag zuvor etwa ließ Christian Lindner die Gespräche aufgrund der genannten Konfliktherde eskalieren. Selbst am Sonntagmittag erklärte er nicht, welches Verhalten der anderen Parteien für ihn Grund sein könnte, den Verhandlungstisch zu verlassen.
Fazit: Christian Lindner hätte bereits um Mitternacht konkretisieren müssen, an welchen Positionen oder Indiskretionen der Partner „Jamaika“ für ihn gescheitert ist. Journalisten und politische Wettbewerber hätten dann nicht nur auf seine Argumente eingehen müssen. Die FDP hätte die Deutung über die Debatte erlangt und ihre Gründe für das Ende der Sondierungen darlegen können. Bereits zuvor hätten die Liberalen ein mögliches Scheitern an konkrete Szenarien knüpfen müssen, um für Medien und Öffentlichkeit berechenbar zu sein. Dann hätten die wartenden Journalisten bereits am Sonntagnachmittag darüber berichtet, an welcher Stelle die FDP das Handtuch wirft.
Die furiose Debatte über die „inszenierte Verkündung“ war dann aber überdreht. Natürlich bereitet sich ein Verhandlungsführer auf sein Wording vor, wenn ein Scheitern der Gespräche droht. Sich dabei auch eine prägnante Botschaft an die eigene Community zu überlegen – „Lieber nicht regieren als falsch“ – war klug. Auch das gehört zu einer erfolgreichen Krisenkommunikation – insbesondere in der Politik.
Manuel Röhrich ist Konzeptioner bei KOMPAKTMEDIEN. In seinem Team entwickelt er Strategien und Konzepte für Kampagnen – oftmals auch zu sensiblen und komplexen gesellschaftlichen Themen.