In vero veritas – eine App zwischen Hype und Hoffnungsträger
Von Friedrich-Paul Spielhagen
Kaum eine andere App spaltet aktuell die Netzgemeinschaft wie Vero. Mich eingeschlossen. Plötzlich war Vero da – gefühlt aus dem Nichts. Sieht schick aus und verspricht dabei sehr viel. Das lässt aufhorchen. Ich nutze täglich meine sozialen Kanäle, verfolge Stories, verteile Likes und sage Veranstaltungen zu, auf denen ich mich schlussendlich doch nicht blicken lasse. Und zwischen alledem ploppt Werbung auf. Das nervt. Dagegen hält jetzt Vero und will alles anders machen.
Der Name Vero ist der lateinischen Sprache entlehnt und bedeutet nichts weniger als „wahr“. Das Besondere an Vero: In ihrem Manifest betiteln Vero sich als „true social“ – und fordern damit eine unverfälschte soziale Interaktion. Ohne Werbung. Ohne Data Mining. Ohne Algorithmus, sondern ausschließlich mit Inhalten in chronologischer Darstellung im Newsfeed. Klingt soweit vielversprechend.
Woher kommt der Hype?
Vero ist alles andere als neu. Schon seit 2015 steht die App in verschiedenen Stores zum Download bereit. Aber erst Kooperationen mit Künstlern brachten den erhofften Erfolg: Der Regisseur Zack Snyder, verantwortlich u.a. für den Blockbuster „300“, veröffentlichte seinen Kurzfilm „Snow Steam Iron“ exklusiv auf Vero. Und auch der Fotograf Robert Whitman beschreitet Neuland und vertreibt seinen Prince-Bildband „Pre-Fame“ ausschließlich über die Plattform.
Nachgeholfen haben zudem unterschiedliche Influencer, die auf ihren Instagram-Profilen die Plattform Vero fleißig promoten und zum Mitmachen auffordern. Gleichwohl dieser synchronisierte Aktionismus auffällig ist, bestreitet jeder der Influencer eine bezahlte Kooperation.
Als weitere Gründe für den rasanten Erfolg gelten auch die „Fear Of Missing Out“, die Angst etwas zu verpassen, in Kombination mit dem Pinguin-Effekt, einem Phänomen aus der Netzwerktheorie. Dieses Phänomen beschreibt die abwartende Haltung potenzieller Nutzer eines neuen Netzwerks: Es müssen erst genügend Mutige ins Wasser springen, damit andere Nutzer nachziehen. Diese Angst und das Erreichen einer kritischen Masse an Nutzern heben den Pinguin-Effekt auf und lassen die Mitgliederzahl stetig wachsen.
Wie verdient Vero Geld?
Vero ist werbefrei. Und soll es auch bleiben. Stattdessen sieht das Geschäftsmodell langfristig eine Mitgliedsgebühr vor. Über den Zeitraum als auch über die Höhe des Betrags schweigt Vero hingegen. Für die erste Million User soll das Angebot dauerhaft kostenfrei bleiben. Aktuell verkündet Vero auf seiner Website, dass dies – aufgrund der technischen Probleme durch den Nutzeransturm – momentan auch für alle weiteren neuen Nutzer gilt.
Als alternative Erlösquelle plant Vero neben einer bezahlten Mitgliedschaft Gebühren zu erheben, die im Rahmen von Transaktion für den Kauf von Produkten auf der Plattform anfallen. Das zeigt deutlich, dass – anders als im Manifest behauptet wird – nicht die reine soziale Interaktion zwischen den Menschen im Mittelpunkt steht, sondern eben auch die zwischen Unternehmen und Kunden. Etwas schade.
Wie funktioniert Vero?
Vero ist ein soziales Netzwerk mit ähnlichen Funktionen wie Facebook und Instagram. Das ansprechende Interface bietet folgende Features:
- Personen suchen und nach einem bestimmten Kriterium verbinden (Freund, Bekannter, Kollege etc.)
- Veröffentlichen und Teilen von Fotos, Videos, Musik und Links
- Erstellen und Veröffentlichen von Collections, mit denen sich Inhalte nach Interessen sortieren und teilen lassen
Wer steckt hinter Vero?
Vero ist weder ein freches Start-up aus dem Silicon Valley noch eine fixe Idee aus einem Hackathon. Vielmehr steht hinter Vero der Milliardär Ayman Hariri, Sohn des 2005 ermordeten libanesischen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri. Bis 2017 war Ayman Hariri Geschäftsführer der Baufirma Saudi Oger, die unterschiedliche Großprojekte in Saudi-Arabien realisierte, bevor das vielfach kritisierte Unternehmen wegen Korruption und menschverachtender Bedingungen den Betrieb einstellte.
Wie geht es mit Vero weiter?
Ob Vero es schafft, sich langfristig gegen die Konkurrenz zu behaupten? Es bleibt abzuwarten. Schon vor Vero versuchten Unternehmen mit neuartigen Konzepten getrimmt auf Transparenz und Werbefreiheit User zu überzeugen und abzuwerben. Bisher ohne größeren Erfolg. Auch in diesem Fall – und besonders in Hinblick auf das ungewöhnliche Geschäftsmodell – stehe ich der neuen Plattform skeptisch gegenüber. Aber ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen.
Auch wenn die Rezensionen der App insgesamt eher schlecht ausfallen und Vero zeitweise mit technischen Problemen zu kämpfen hat, zeigt der Hype deutlich: Das Bedürfnis nach alternativen Anbietern zu Facebook und Instagram ist ungebrochen.
Und was würde das für Unternehmen und Institutionen bedeuten, die Nutzer über Vero erreichen wollen? Sie müssen umdenken. Denn anders als bei Facebook und Instagram soll Vero schließlich frei von jeglicher Werbung bleiben. Damit bleibt nur der eigene Content oder die Zusammenarbeit mit Influencern, um die Gunst der User zu gewinnen. Das soll niemanden davon abhalten, sich etwas genauer mit Vero auseinanderzusetzen. Ganz im Gegenteil: Insbesondere bei angesagten Medienprodukten oder Lifestyle-Marken könnte es sich durchaus lohnen, die eigene Content-Strategie zu hinterfragen, anzupassen und einfach mal auf Vero loszulegen.
Friedrich-Paul Spielhagen ist Konzeptioner bei KOMPAKTMEDIEN. Man sagt ihm nach, er sei analog und digital ein sozialer Typ, aber Filter nutzt er dennoch nur zum Kaffee kochen.
Fotos: Vero