Was ist eine „kreative Leitidee“?

von Jan-Philipp Sonnenberg

9. Dezember 2016

Unter einer „kreativen Leitidee“ versteht die Werbebranche eine visuelle oder wortsprachliche Kreation mit hoher Einprägsamkeit. Die kreative Leitidee soll insbesondere bei integrierten Kampagnen für ein konsistentes Erscheinungsbild und eine starke Wiedererkennung in allen „Kanälen“ und „Instrumenten“ sorgen. (Leicht ähnlich ist der Begriff „Key Visual“. Und im Falle einer Wortkreation könnten wir analog von einem „Key Lingual“ sprechen.) Einig sind sich die meisten Autoren darin, dass die kreative Leitidee „einfach“ zu sein hat. Gern zitierte Beispiele: die „lila Milka-Kuh“ oder die „Zwillinge“ des Generikaherstellers ratiopharm. Vielleicht übersetzen wir uns die Sache am besten so: die „kreative Leitidee“ ist in erster Linie eine „kreationsleitende Idee“. Sie definiert die Richtung eines gestalterischen Prozesses, wie er sich täglich in der Kreationsabteilung einer Werbeagentur abspielt und gehört in die Domäne der „visuellen Kommunikation“.
So weit, so gut.

Inwieweit hilft uns der Ansatz einer „kreativen Leitidee“, wenn wir Kommunikation für eine anspruchsvolle und kritische Zielgruppe planen? Wenn wir um Engagement und Interesse jenseits einer simplen Kaufentscheidung werben? Auf den ersten Blick nicht sehr. Denn die typische „kreative Leitidee“ der Werbung ist selten Futter für wache Köpfe. Gerade ihre „Einfachheit“ langweilt. Sie hat ihre Wurzeln in einem Werbemodell, dass sich an einer Art „Abrichtung“ der Verbraucher orientiert. Vor allem: Sie INSPIRIERT nicht. (Und zwar nicht mal den Werbegrafiker, der sie in Szene setzen soll.)

Leitideen, die wirklich leiten

Trotzdem kann die „kreative Leitidee“ ein entscheidender Denkschritt sein, um die intellektuelle und emotionale Wirkung von Kommunikation zu fixieren. Dazu muss sie sich nur ein wenig nach der Decke strecken.

Die anspruchsvolle Leitidee

  • ist zunächst einmal wortsprachlich formuliert und daher diskussionsfähig.
  • öffnet einen interessanten Möglichkeitsraum in den Köpfen.
  • hat den Zeitgeist reflektiert und geht souverän mit kritischen Gegentrends um.
  • löst unmittelbar Fragen aus.
  • lässt spannende Hypothesen über den Absender einer Kampagne zu.
  • inspiriert alle Beteiligten (sogar routinierte Grafiker und Texter).
  • strahlt unmittelbar Kraft aus.
  • ist eine originäre gedankliche Schöpfung.

Und jetzt kommt das Wichtigste: Die kreative Leitidee hilft unserem kritischen Publikum, ein Thema neu zu sehen und zu denken. Kreative Leitideen, wie wir sie brauchen, nehmen einen spielerischen Perspektivwechsel vor oder ziehen einen interessanten Vergleich: Sie sind der Kern einer guten Geschichte.

Wo gibt’s denn sowas?

Das klingt dann doch ganz nützlich. Schade nur, dass die Adressaten unserer Kommunikation unsere Leitideen so selten direkt zu Gesicht bekommen. Denn meistens arbeiten sie im Hintergrund. Sie hinterlassen ihre Spur in Bildern, Drehbüchern, Headlines …

Ich würde sagen: Kreative Leitideen sind die dunkle Materie einer guten Kampagne.

Jan-Philipp Sonnenberg bringt bei KOMPAKTMEDIEN zehn Jahre Agenturerfahrung aus PR und Corporate Publishing ein. Er besitzt ein Faible für historische Themen und digitales Publizieren.